Die alliierten Truppen befreiten uns ungefähr, meiner Meinung nach am 15. April. So, […] eine zeitlang wohnten wir noch […] bei unseren Dienstherren […]. Danach gingen wir weg und […] ich wohnte in dem Lager von dieser Fabrik.
Und die anderen Mädchen, die mit mir gearbeitet hatten, sie waren in einem gemeinsamen Lager, das war in, äh, das war in einer ehemaligen militärischen Kaserne eingerichtet. […]
Ich hatte die Mädchen kennen gelernt, die dort in dieser Fabrik […] arbeiteten und deswegen ging ich dorthin zum Wohnen, […] um sozusagen in diesem Lager zu wohnen. Wir fuhren von dort weg. […]
Ja und zurück fuhren wir ungefähr, erst im Juli ’45. Wir fuhren sehr lange, weil die Bahnstrecke eingleisig war.
Naja, und deswegen ließen sie vor allem die Militärtransporte durch, die die entlassenen Soldaten oder irgendwelche anderen, irgendwelche militärische Ausrüstungen oder Maschinen zurück transportierten.
Und unser gewöhnlicher, unser Zug stand sozusagen auf dem Abstellgleis, wir wurden auf das Abstellgleis geleitet und dort standen wir sozusagen manchmal sehr lange. Deswegen fuhren wir sehr lange.
[…] ja später waren wir einige Zeit im Lager in Halle. Dort war auch so eine, sozusagen ein große militärische Stadt war das sozusagen. […]
Nun und dort wurden sozusagen die Transporte in die verschiedenen, äh, verschiedenen Richtungen zusammengesetzt, um in die Heimat zurückzukehren.
[…] wahrscheinlich war es fast schon September, als wir weiterfuhren.
Als wir nach Minsk zurückkehrten, machten sie uns drei Monate lang …, wie soll ich sagen, durchliefen, äh, wir eine ‘Filtration’, weil, nun, sie erfuhren, dass, wo wer gewesen war, was er wie getan hatte, wie er sich vor, während des Krieges benommen hatte. […]
Und jeden Tag, jeden Tag verhörte man uns sozusagen.
Mehrere Male erzählten wir immer wieder das gleiche. Wahrscheinlich hatten sie sozusagen erfahren …, irgendeiner …, sie verhörten noch andere, hm, Leute, die uns vielleicht kannten oder die vielleicht irgendwann mit uns irgendwo waren.
Kurz gesagt, wir durchliefen eine ‘Filtration’ und es gab Protokolle, die mit der Zeit hätten bestätigen können, wo Mama gewesen war. Dort hätte ich es erfahren können, aber aus irgendwelchen Gründen bekam ich diese Informationen nicht.
Mama war eine interessante Frau, ich habe sozusagen große Angst, dass …, habe sogar Angst es auszusprechen, so wie Mama es nie laut ausgesprochen hat.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie in einem, entschuldigen Sie, Bordell war, vielleicht, denn warum transportierte man sie sonst von Lager zu Lager. Ich weiß nicht warum.
Ich verstehe nicht …, weiß nicht warum, aber Mama konnte darüber nicht sprechen. Sie, sie schluchzte immer laut und ich hatte später mit der Zeit sogar Angst, sogar Angst danach zu fragen. Sie sagt: ‘Ich bin durch die Hölle gegangen und kann es nicht erzählen.’ Und so habe ich nicht erfahren, was mit ihr dort weiter gewesen war. So war das.
Walentina K.,
Interview za037, 05.08.2005, Interview-Archiv „Zwangsarbeit 1939-1945“
In den letzten Kriegstagen im Deutschen Reich verließen immer mehr Wachleute die Lager und versuchten, ihre eigene Haut zu retten. Die Lager, in denen die zivilen Zwangsarbeiter:innen untergebracht waren, wurden nicht geräumt. Vielmehr wurden die Zwangsarbeiter:innen sich selbst überlassen. Es folgten Plünderungen in den Dörfern und Städten, die Suche nach Lebensmitteln und der Wunsch, in die Heimat zurückzukehren. Es gab aber auch „Ostarbeiter“, die nicht zurück in die Sowjetunion wollten und woanders ein neues Leben begannen. Ebenso kam es zu vereinzelten Racheaktionen für das erlittene Leid, die Misshandlungen und die Gewalt. Die ehemaligen Zwangsarbeiter:innen waren nun sogenannte „displaced persons“.
Identifikationskarte einer „displaced person“
© Memorial International/Fonds 21
Da es keine anderen Unterkünfte gab, blieben viele in den Lagern, jetzt nur unter anderen Bedingungen. In der sowjetischen Besatzungszone wurden die „Ostarbeiter“ mit Misstrauen und Verachtung in den Lagern bewacht. Auch in den anderen Besatzungszonen blieben die meisten Menschen in den Lagern. Sie wurden jedoch vor die Wahl gestellt, in ihre Heimat zurückzukehren. Stimmten sie zu, so übergaben die Westalliierten die sowjetischen Bürger:innen aus ihren Besatzungszonen an den sowjetischen Geheimdienst NKWD. In sogenannten Prüf- und Filtrationslagern des NKWD mussten die ehemaligen Zwangsarbeiter:innen schließlich lange, strenge Verhöre über sich ergehen lassen. Für alle registrierten rund 5,4 Millionen sogenannter „Repatrianten“ galt eine Schuldvermutung: Allen Zwangsarbeiter:innen wurde seitens der Sowjetunion Kollaboration und Spionage vorgeworfen.
Bescheinigung über Durchlaufen einer „Filtration“, ausgestellt vom NKWD
© Memorial International/Fonds 21
Natürlich war es schwer, diese pauschalen Vorwürfe in den Verhören ohne Beweise zu widerlegen. In den schlimmsten Fällen kamen die sogenannten „Repatrianten“ erneut in ein Lager und zur Zwangsarbeit nach Sibirien.
Als die Amerikaner uns an unsere Truppen übergeben sollten, da kam der Direktor, um uns zu verabschieden, und sagte: ‘Ihr wärt jetzt gleichberechtigt, wir würden euch nicht mehr benachteiligen, ihr bekommt das gleiche Gehalt wie die Deutschen. […] Bei euch ist doch jetzt alles zerstört; vielleicht leben ja eure Angehörigen gar nicht mehr.’
Soja Jelissejewa,
Für immer gezeichnet. Die Geschichte der „Ostarbeiter“, S. 346
Zwangsarbeiter:innen nach der Befreiung durch britische Soldaten
Foto © Memorial International/Fonds 21
Wir gingen zu den Engländern, aber die Engländer empfingen uns nicht gerade herzlich. Einmal sperrten sie uns ein, da dachten wir, jetzt bringen sie uns nach England, und wir müssen für sie arbeiten. Da beschlossen wir, uns zu unseren Truppen durchzuschlagen, und sind abgehauen.
Raissa Perwina,
Für immer gezeichnet. Die Geschichte der „Ostarbeiter“, S. 347
Bescheinigung Gutmann AG Maschinenbau für Nikolai Jakowenko
Foto © Memorial International/Fonds 21
Viele kehrten damals nicht nach Russland zurück. Manche Mädchen heirateten. […] Die jungen Männer nahmen sie mit. Nach Frankreich und Australien gingen besonders viele.
Sinaida Komissarowa,
Für immer gezeichnet. Die Geschichte der „Ostarbeiter“, S. 353
In der Sonderabteilung war das so – nachts mussten wir arbeiten, und morgens wurden die Leute abtransportiert, die man erwischt hatte. Sie wurden eingefangen und nach Zentralasien oder nach Sibirien geschickt. In Lager. Und wir mussten nachts alle diese Papiere per Hand schreiben, jedes in 5 Exemplaren. […] Unser Chef, ein Oberst, der sagte: ‘Mädels, geht und haltet euren Kopf unter den Wasserhahn, ihr habt noch lange zu tun.’ Ich hab nicht begriffen, warum das alles mit der Hand geschrieben werden musste – hatten die keine Schreibmaschinen, oder was?
Nadeshda Bulawa,
Für immer gezeichnet. Die Geschichte der „Ostarbeiter“, S. 355
Wir bekamen dieses uns völlig unbekannte Wort verpasst – ‘Repatriierte’. Das hatte ich vorher noch nie gehört.
Viktor Shabski,
Für immer gezeichnet. Die Geschichte der „Ostarbeiter“, S. 356
Wir wurden in eine Stadt gebracht. Dort bleiben wir lange. Bestimmt zwei Wochen. Du meine Güte, wir mussten alles aufschreiben – wo du warst, was du gemacht hast, ob du nicht den Amerikanern versprochen hast, mit ihnen zusammenzuarbeiten […] Ich habe kein einziges wohlwollendes Gesicht gesehen. […] Uns wurde gleich gesagt, dass Stalin nicht mal seinem eigenen Sohn getraut hat.
Da waren wir also dann – ohne Schuld schuldig.
Vera Dergatschowa,
Für immer gezeichnet. Die Geschichte der „Ostarbeiter“, S. 360
Am 13. Mai war das erste Verhör, also gleich am Ankunftstag. […] Natürlich kam die Frage: ‘Na, du Mistkerl, hast du den Deutschen gedient?’ Und der erste Körperkontakt war ein Faustschlag ins Gesicht.
Aha, denke ich, aus einem Konzentrationslager also ins nächste.
Ich erkläre denen, wer und was ich bin. Einer sitzt da und schreibt, der andere führt das Verhör. Ich denke, gleich schlägt er dich wieder. Aber nein, einmal hatte gereicht. Das machten sie nur zum Anwärmen. Immer, wenn sie dich holten, bekamst du erstmal eins in die Fresse. In so einer Zwickmühle steckten wir.
Nikolai Bogoslawez,
Für immer gezeichnet. Die Geschichte der „Ostarbeiter“, S. 362