Text: Ksenja HolzmannTitelbild: Angeklagte in Nürnberg, circa 1945–1946 / Foto © gemeinfrei22.06.2021

Am 22. Juni 1941 begannen die Nationalsozialisten mit dem Angriffskrieg gegen die Sowjetunion. Es sollte ein Eroberungs- und Vernichtungskrieg werden, bei dem die Wehrmacht den Befehl erhalten hatte: Die sowjetische Bevölkerung vertreiben, versklaven und töten. Der Antislawismus und der Antisemitismus der Nazis zeigten sich in den folgenden Kriegsjahren in zahlreichen Gewaltverbrechen. 

Schon 1925 schrieb Adolf Hitler in seinem Buch Mein Kampf, dass der Krieg gegen die Sowjetunion das wichtigste Ziel der Außenpolitik sei. Der sogenannte „jüdische Bolschewismus“ galt für ihn als extremste Herrschaftsform des sogenannten „Weltjudentums“ und sollte deshalb komplett zerstört werden. Hinzu kam, dass die Nationalsozialisten in ihrer rassistischen ideologie die slawischen Menschen als „Untermenschen“ ansahen. Sie galten als unzivilisiert und primitiv und der „arischen Rasse“ unterlegen. 

Sobald die Sowjetunion bis zum Uralgebirge, also bis zum „asiatischen Teil“, besetzt war, sollte das eroberte Gebiet der Besiedlung durch die „Herrenmenschen“ dienen: „Lebensraum im Osten“ nannten die Nationalsozialisten dieses Programm.

Die sowjetische Bevölkerung wurde unterdrückt, ausgebeutet und entrechtet. Die Ukraine sollte zur „Kornkammer des Reichs“ werden, so dass das Getreide nicht an die Bevölkerung ging und sie deshalb Hunger litt. Generell wurde die Lebensmittelvergabe von den Nazis kontrolliert, wie auch alles andere. Um die Bevölkerung zu kontrollieren, kollaborierten sie mit örtlichen Behörden, Polizisten und Dorfältesten. Zahlreiche Arbeitsämter wurden eingerichtet: Zum einen, um die Menschen in den besetzten Gebieten zur Arbeit zu zwingen und zum anderen, um Menschen in das Deutsche Reich zur Zwangsarbeit zu deportieren.

Der erste Befehl, den sie ausgaben – Kommissare, Kommunisten und Juden mussten sich in der Kommandantur registrieren lassen. Außerdem hieß es in diesem Befehl: Für einen toten Deutschen werden hundert Menschen erschossen. Nach Belieben. Egal, wer. Solche schrecklichen Befehle waren das.

Viktor Shabski,
Für immer gezeichnet. Die Geschichte der „Ostarbeiter“, S. 74

Fritz Sauckel / Foto © gemeinfrei

Fritz Sauckel spielte eine zentrale Rolle bei der Deportation und Ausbeutung von mehreren Millionen Zwangsarbeiter:innen im Deutschen Reich und den besetzten Gebieten. Als SA-Mitglied hat er 1922 Adolf Hitler kennengelernt und wurde schnell sein treuer und ergebener Begleiter. 1923 trat er in die NSDAP ein, wurde Mitglied in verschiedenen rechtsradikalen Organisationen, unter anderem bei dem antisemitischen „Deutsch-Völkischen Schutz- und Trutzbund“. Später wurde Sauckel Gauleiter, Ministerpräsident und Reichsstatthalter in Thüringen. Mit diesen Ämtern setzte er sich für die Einrichtung des Konzentrationslagers Buchenwald bei Weimar ein. 

„Grausamster Sklavenhalter seit den Pharaonen“

Als Höhepunkt seiner Karriere und seines Machteinflusses gilt wohl seine Ernennung zum Generalbevollmächtigten des Arbeitseinsatzes (GBA). Mit dieser NS-Sonderbehörde war er offiziell direkt dem Beauftragten für den Vierjahresplan unterstellt – Hermann Göring. In enger Zusammenarbeit mit den Behörden in den besetzten Gebieten, der Wehrmacht und der Polizei organisierte er gewaltvolle Massendeportationen und sorgte damit für den Erhalt der deutschen Kriegswirtschaft.

Im „Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher“ vom 20. November 1945 bis 1. Oktober 1946 wurde Sauckel mit 23 anderen Nationalsozialisten angeklagt. Der Hauptankläger Robert H. Jackson bezeichnete Sauckel als den „größten und grausamsten Sklavenhalter seit den Pharaonen“. Er wurde schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt. Am 16. Oktober 1946 fand seine Hinrichtung in Nürnberg statt.

Um die deutsche Wirtschaft und Industrie während des Zweiten Weltkriegs weiterhin aufrecht zu erhalten, benötigten die Nationalsozialisten massenhaft Arbeitskräfte. Gerade der ab 1943 erklärte „totale Krieg“ sorgte für gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen. Die meisten deutschen Männer wurden in die Wehrmacht eingezogen. Die deutschen Frauen, zunächst aus dem Arbeitsmarkt herausgedrängt, um das Frauenbild als Ehefrau und Mutter zu erfüllen, wollten und sollten nur noch bestimmte Berufe ausüben oder gar keine Erwerbstätigkeit aufnehmen. Deswegen setzten die Nazis verstärkt auf die Massendeportation von Menschen aus den besetzten Gebieten. Die Kriegswirtschaft und die Rüstungsindustrie wurden zu den zentralen Arbeitsorten im Deutschen Reich. Aber Landwirtschaft, Kommunen, Kirchen, Unternehmen und Privathaushalte profitierten ebenfalls von dem Einsatz der Zwangsarbeiter:innen. Im Sommer 1944, dem Höhepunkt des massiven Einsatzes von ausländischen Arbeitskräften im Deutschen Reich, wurden mehr als 13 Millionen Zwangsarbeiter:innen eingesetzt: zivile Zwangsarbeiter:innen, KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene. Ungefähr 8,4 Millionen zivile Zwangsarbeiter:innen gehörten zum Alltag im Deutschen Reich. Davon waren 2,75 Millionen aus der Sowjetunion, überwiegend Mädchen und junge Frauen. Sie kamen vor allem aus der Ukraine, Belarus und Russland.

Für die „allgemeinen Bestimmungen über Anwerbung und Einsatz von Arbeitskräften aus dem Osten“ wurden die sogenannten „Polenerlasse“ von 8. März 1940 als Grundlage genommen, angepasst und verschärft. Die „Ostarbeitererlasse“ regelten die Lebens- und Arbeitsbedingungen im Deutschen Reich. Die „Ostarbeiter“ durften nur raus, um zu ihrem Arbeitsplatz zu gehen. Sie durften kein Geld, keine Wertgegenstände, keine Fahrkarten, keine Feuerzeuge und kein Fahrrad erwerben oder besitzen. Sie durften die öffentlichen Verkehrsmittel nicht benutzen, es sei denn, sie hatten eine Sondererlaubnis von der lokalen Ordnungspolizei. In den Lagern wurden Frauen getrennt von den Männern untergebracht. Ihre Vorgesetzten durften sie züchtigen. Sie erhielten eine schlechtere Verpflegung und weniger Lohn als Deutsche. Jeglicher Kontakt zu den Deutschen war verboten. Sex mit einem Deutschen oder einer Deutschen wurde sogar mit dem Tode bestraft. Wer diese Gesetze nicht einhielt, dem drohte die Einweisung in ein Konzentrations- oder Arbeitserziehungslager. 

Wir bekamen Jacken, die waren grün und hatten schwarze Farbtupfer. Und dann noch dieses ‘OST’ – ‘Osteregajsja Sowjetskowo Towarischtscha’. (Nimm dich in Acht vor dem sowjetischen Genossen).

Jekaterina Krikliwez,
Für immer gezeichnet. Die Geschichte der „Ostarbeiter“, S. 147

Sollten die Menschen aus der Sowjetunion in den Augen der Deutschen gegen diese Bestimmungen verstoßen, griff die Gestapo ein. Sie sorgte für die Einweisung in ein sogenanntes „Arbeitserziehungslager“ oder ein Konzentrationslager. Damit zeigt sich aber auch, dass der Status von „Ostarbeitern“ in der gesamten Kategorie der zivilen Zwangsarbeiter:innen zwar auf der untersten Ebene der Hierarchie zu finden war, der Zustand sich aber durch Einweisung in ein Konzentrationslager oder „Arbeitserziehungslager“ noch verschlimmern konnte.

Bei „kleineren“ Vergehen wurden sie vielmehr unmittelbar bestraft. Schließlich durften die Arbeitgeber:innen ihre Zwangsarbeiter:innen nach ihrem Ermessen bestrafen und züchtigen, was oftmals willkürlich geschah.

Tschechen waren auch als Zwangsarbeiter dort, aber die konnten sich frei bewegen. Auch die Polen waren freier, aber sie mussten ein ‘P’ tragen. Wir wurden immer in Kolonnen geführt und bewacht. Und wir hatten diesen Aufnäher – die weißen Buchstaben ‘OST’ auf blauem Grund.

Raissa Perwina,
Für immer gezeichnet. Die Geschichte der „Ostarbeiter“, S. 149